„Eine Hommage an Theodor Storm“
Unter den zahlreichen Musikveranstaltungen zu Theodor Storms 200. Geburtstag nimmt die Hommage der Chansonsängerin Anna Haentjens einen ganz besonderen Platz ein. Eigenwillig mutet schon der Versuch an, Storm mit Mitteln des Chansons zu Gehör zu bringen. Eigenwillig ist auch die Zusammenstellung der Lieder und Texte. So folgen gleich zu Beginn auf die beiden berühmtesten Naturgedichte Storms – seine Ode an die Heimat „Die Stadt“ (die bereits weit über 50 Mal vertont wurde) und „Meeresstrand“ – die beinahe belanglos anmutenden Verse „Mit einer Handlaterne“, von Anna Haentjens nach der Brauchtumsweise „Laterne, Sonne, Mond und Sterne“ intoniert. Sie greift damit den – oft wenig bekannten – Humor Storms auf (so wie sie später bei den Vertonungen von „Vom Staatskalender“ und „Der Beamte“ dem bissigen Satiriker Storm eine Bühne gibt).
„Mit einer Handlaterne“ entsprang einer Schnapsidee. Den Anlass schildert Storms Tochter Lisbeth in einem Brief an ihren Bruder Karl: „Vater wünscht, daß ich Dir folgendes Gedicht schreiben soll. Die Gräfin und Vater wollen sich nämlich gegenseitig Laternen zu Weihnachten schenken, weil es ein wirklich halsbrechender Weg ist des Abends nach dem Schloß zu kommen und auch
umgekehrt.“
Ganz nebenbei wird hier deutlich, wie weit weg diese Welt Storms uns heute erscheinen muss, die wir erleben, wie die „Smart City“ entsteht. Damals stand die einzige Straßenlaterne der Stadt einsam im Nebeldunst des Binnenhafens. Wenn Storm abends den befreundeten Amtmann Graf Ludwig zu Reventlow im zehn Minuten Fußweg entfernten Schloß vor Husum besuchte, war das ohne Straßenbeleuchtung „ein wirklich halsbrechender Weg“.
Wie nah uns hingegen dieser Storm des 19. Jahrhunderts zugleich schon ist, zeigt das sechste Lied, eine Vertonung der weltanschaulichen Bekenntnisverse „Größer werden die Menschen nicht“. Nirgends im Werk Storms kommt sein diesseitiger Humanitätsglaube pointierter zum Ausdruck als hier. Nirgends auch wird die Nähe des Dichters zur Religionskritik seines Jahrhunderts deutlicher, ja wenige Gedichte der deutschen Literatur eignen sich wohl so gut zur Veranschaulichung der Grundgedanken dieser epochalen Emanzipationsbewegung, deren wichtigste Themen und Motive hier wie unter dem Brennglas konzentriert erscheinen. Und zugleich dokumentieren die Verse das eigentümliche Spannungsverhältnis, in dem bei Storm Fortschrittsglaube und Pessimismus stehen.